Auszüge; Volltextversion publiziert in: Richard Weber / Christiane Görres-Everding (Hg.), Die Kultur und die Medien, Bonn (Bundesanstalt für politische Bildung) 1998, 58-76
Kulturwissen
Wir verfolgen <...> ein strategisches Ziel, den Anschub des Projekts einer visuellen Enzyklopädie kultureller Aussagen. Es geht also um die "Urbarmachung" eines enormen Bildspeichers (Konrads), der in den Fernsehsendern angelagert ist, als Gedächtnis, mithin institutionell als Archiv. Kultur, lat. colere, meint etymologisch genau das, nämlich Schneisen in den Boden zu schlagen; und "ur-", im Altgriechischen die arché, heißt zugleich Befehl, kybernetische Durchorganisation; von daher mein medienarchäologischer Blick. Denn erst die Organisation eines Magazins, d. h. seine Aussattung mit einem System der Adressierbarkeit, macht aus Speichern Gedächtnis, das aktiviert werden kann.
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"Kultur im Medium abzubilden" heißt, genau betrachtet, und im Bereich bildvermittelnder Medien, dafür Sorge zu tragen, daß das kulturelle Gedächtnis der Bilder buchstäblich abgebildet wird, und nicht - grob gesprochen - schlicht verschlagwortet. Ein Blick auf die Datenmasken in gängigen Bildverarbeitungsprogrammen - etwa die des Bundesfilmarchivs in Berlin - sieht so aus: Das Bild kommt nicht vor. Es kommt also darauf an, Bildung vom Bild her medial zu denken, also bildorientierte Bildarchivierung.
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Netzwerke selbst stellen, als technisches Dispositiv, eine Alternative zur visuellen Enzyklopädie dar; damit verbunden sind alternative retrieval-Funktionen, die vom Medium des Computers vorgeschrieben, generiert werden. Unsere Bildsuch- und Findästhetik orientiert sich noch an den analogen Medien und ihren Formen der Wissensorgationsation; von daher die Idee der visuellen Enzykolädie als Vernetzung von Archiven. Demgegenüber setzt der digitale Datenfluß ein anderes Modell, fort von der Fixierung auf das Archiv, hin zum Begriff der Bildsortierung, ein mithin dynamischeres Modell permanenter Latenzzustände und Rückkopplungen, von kulturellem Recycling. Das aber heißt, den Blick nicht auf die Inhalte, sondern die Übertragungswege zu lenken, denn bevor - ich zitiere abermals Herrn Konrad - Kultur das Ferment sein kann, das Städte bewohnbar und den Zusammenhang der Gesellschaft sichern kann, bedarf es einer technischen Infrastruktur jenseits aller Kultur, solche Signale überhaupt zu transportieren. Medien aber haben es mit Signalen, nicht mit Botschaften zu tun; mit kybernetischen Schaltungen, nicht kulturellen Werten. Solange der deutsche Kulturbegriff geradezu systematisch seine Bedingtheit in Techniken und Apparaten vergessen macht, schlage ich vor, sehr einseitig eine Anamnsese dieses Wissens zu leisten, indem wir gerade unter der Begriffskopplung von Medien und Kultur nicht auf die Inhalte schauen, sondern auch die Techniken der Speicherung und betragung solcher Daten: also das, was es überhaupt erst ermöglicht, Kultur zu sehen. Für digitale Medien gibt es den Begriff Kultur nicht, keine Differenz zwischen Text und Bild, keine Differenz zwischen Sinn und Unsinn. Diesem Medium aber trauen wir jetzt Kultur an. Und das Rundfunkzeitalter in Deutschland begann zwar am 29. Oktober 1923 mit der Übertragung eines Cellokonzerts, doch nur, nachdem der Rundfunk im Ersten Weltkrieg zunächst einmal rein strategische Bedeutung hatte: Befehlsflüsse zu übertragen, nicht Kommunikation, schon gar nicht Kultur. Auch am Ende des Zweiten Weltkriegs stand die amerikanische Kriegswissenschaft vor der Frage, wie denn nun diese Technologien, die für Krieg entwickelt waren, in ziviele Nutzung überführbar waren. In dem Kontext erfand Vannevar Bush, Leiter dieser Projekte, die Maschine Memex, das Vorbild des Hyberptext und des Internet-Denkens der Vernetzung.
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Die EVA Ž97 in Berlin, eine Konferenz für Electronics and the visual Arts, hat jüngst Modelle angeboten, wie Bilddatenbanken für Museen etwa in einer Weise organisiert werden können, die die Möglichkeiten des Mediums nicht länger der Verschlagwortung von Texten unterwerfen.
Die Orientierung am Modell der Enzyklopädie ist also ein Hindernis, und daher lautet mein Plädoyer: keine visuelle Enzyklopädie, sondern die Generation neuer Formen der Datennavigation im Sinne der digitalen Medien. Als Kultur gilt dem heute vorgestellten Modell einer visuellen Enzyklopädie, das 3SAT-Projekt Schätze der Welt, das, was in Listen erfaßt ist, nämlich den Listen des Weltkulturerbes der UNESCO. Demgegenüber gilt es ein Bilderwissen zu mobilisieren, daß aus den Bildern selbst sich schreibt.
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Die Toronto-Schule (Harold Innis, Eric Havelock, Marshall McLuhan) präzisiert, daß Kulturen eher durch die Kapazität ihrer Medien, d. h. ihrer Aufzeichnungs-, Speicherungs- und Übertragungstechnologien definiert sind, denn durch Kommunikation. Die Pointe dieser Richtung besteht darin, daß sie aus der Geisteswissenschaft eine Ingenieurwissenschaft macht, was nicht ohne Folgen für die Schreibbarkeit von Geschichte und das Bildgedächtnis bleibt. Zum ersten Mal können Bilder mit Bildern kommunizieren, ohne daß sich der Mensch dazwischenschaltet. In ihrer Kopplung an Medien betrachtet, ist Kultur eben nicht schlicht eine Funktion ihrer Speicher (Lotman / Uspenskij), sondern zunehmend durch die Weitergabe von Information definiert - vom Archiv (Speichern) zum Signal (Übertragen).
Historische Bildregimes zwischen Wunderkammer und Encyclopédie
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Die Verbesserung technischer Verfahren der Reproduktion führte nach 1800 zu einer musealen Verfügbarkeit von Kunst, die Friedrich Nietzsche schon wieder verfluchte. Nietzsches Fluch lastet also auf dem Modell der visuellen Enzyklopädie. Demgegenüber gilt es heute, in Form bildbasierter Bildsortierung das Medium selbst nach außen zu geben und auszustellen.
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Vorbilder einer visuellen Enzyklopädie
Zu fragen ist nach der Schnittstelle von kulturellem Bildverständnis und Techniken der Bildarchivierung. Steht die kunstgeschichtliche Ästhetik einer Anschauungsqualität der Bilder (im Museum) im Widerstreit zu Anwendungen informatischer Komplexitätsrechnungen auf Bilder? Der Kulturbegriff als Hindernis des Bildgedächtnisses? Welche Rolle spielt die kulturelle Kategorie des Sinns bei der Konstitution des Bildbegriffs gegenüber der digitalen Indifferenz computerisierter Bildwahrnehmung?
Nicht erst der Bilderduden macht Gegenstände findbar, deren Begriff wir nicht kennen; die heraldische Suche etwa (der heute die Warenzeichen entsprechen) war immer schon bildbasiert. Der französische Strukturalismus hat das Verhältnis von Text und Bild anhand des seit 1762 erscheinenden Abbildungsteils der großen französischen Enzyklopädie exemplifiziert. "En séparant les images du texte, lŽEncyclopédie sŽengageait dans une iconographie autonome de lŽobjet."
Diese visuelle Enzyklopädie sortiert nicht schlicht Illustrationen, sondern präsentiert die Motive der Kupferstiche in einer durchgearbeiteten, reflektierten Form:
"La prééminence de lŽobjet dans ce monde procède dŽune volonté dŽinventaire, mais lŽinventaire nŽest jamais une idée neutre; recenser nŽest pas seulement constater <...> mais aussi sŽapproprier. LŽEncyclopédie est un vaste bilan de propriété." <Barthes: 28>
Es geht also um hypomnèmata, jene antiken Kontobücher, öffentliche Register oder individuelle Notizbücher, in denen die Griechen "ihren Wissensschatz von Gelesenem, Gehörtem oder Gedachtem anhäuften - als Gedächtnisstüze" Der bibliothekarische Begriff der Strazze, jenes Heft, in welches erworbene Bücher zunächst eingetragen wurden, entstammt folgerichtig der oberitalienischen Kaufmannssprache, dem Lagerverwaltungswesen. So nüchtern muß der Blick auf Kultur als Funktion ihrer Speicher aussehen, und dementsprechend sieht die Abbildung der Arche Noah in der visuellen Encyclopédie auch aus.
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Speicherplätze also sind gemeint, mit Variablen gefüllt. Wissensmodule werden hier nicht metonymisch ausgestellt, sondern als diskrete Serie, mit Anschlußmöglichkeiten.
"LŽimage encyclopédique est humaine, non seulement parce que lŽhomme y est finguré, mais ausi parce quŽelle constitute une structure dŽinformations. Cette structure, quoique iconographique, sŽarticule dans la plupart des cas comme le vrai langage <...>, selon deux axes, lŽun de substitution (ou paradigmatique), lŽautre de contiguité (ou syntagmatique)." <Barthes: 22>
Es handelt sich also nach wie vor um logozentristische Vektoren, die den Bildern eingeschrieben sind; audiovisuelle Quellen wurden bislang allzusehr als Sekundärquellen angesehen, mit Illustrationsfunktion für primät Texte (wie Herr Leonhard vom Deutschen Rundfunkarchiv in seinem Saarbrückener Tagungspapier betont).
Mit der Sprache begann die Kultur (Leo Danilenko). Sprache als Struktur wird vererbt; gilt für Bilderkennung entsprechend ein biogenetisches Gesetz, daß Bilder Begriffen zugeordnet werden? Zumindest nicht mehr in der Satellitenaufklärung, ebensowenig in der Medizin als Motor der originär bildgenerativen imaging sciences. Vielleicht gilt es ja, nicht visuelles Wissen, sondern das Wissen um die Logistik er Bilder auszustellen:
"Diderot le dit <...> le principe même des ensembles cybernétiques; la planche, image de la machine, est bien à sa facon un cerveau; on y introduit de la matière et lŽon dispose le `programmeŽ: la vignette (le syntagme) sert de conclusion. <..> Le montage encyclopédique est fondé en raison: il descend dans lŽanalyse aussi profondément quŽil est nécessaire pour àperçevoir les éléments sans confusionŽ (selon un autre mot de Diderot <...>). <...> Le privilège de lŽimage, opposé en cela à lŽécriture, qui est linéaire, cŽest de nŽobliger à aucun sens." <Barthes: 29>
In der Encyclopédie herrscht eine medieninterne Autoreferentialität der Wissenszirkulation, denn der Bilderteil
"ne peut que doubler le monde expliqué par un nouveau monde à expliqueer, selon un procès de circularité infinie qui est celui-là même du dictionnaire où le mot ne peut être défini que par dŽautres mots." <Barthes: 28>
Zum Unterschied von Sortieren und Archivieren
Die Büromöbelfirma Bisley bietet unter der Rubrik Haushaltshilfe einen Sortierschrank an, "besonders geeignet als Archiv für Dokumente im A4 Format." Die Funktion des Gedächtnisses ist damit auf die der Sortierung depotenziert. Zuordnung ist die Beziehung der Glieder verschiedener Gruppen, etwa eine fortlaufende Reihe ganzer Zahlen zu den einzelnen Standorten. Sortieren, das ist die Differenz zum Archiv, wie es William Vaugham, Protagonist des bildbasierten elektronischen Bildverwaltungsprogramms Morelli definiert:
"The main advantage of the `searchŽ tool is to provide a way of scanning an archive of images so that ones that have meaningful visual relations with each other can be identified. It is assumed that this possibility cannot happen at the moment because the classification is not visual." <Vaughan 1992: 16f>
Im Begriff "meaningful" liegt die Differenz von Kultur als Vektor der Datenverknüpfung und Lager als Sicherung von Datenbeständen. Alte und neue Medien wie Museum, Film und Video selbst sortieren ihrerseits bereits Bilder, etwa 24 Bilder/Sek., und in Schnitten - das also, was sich auch jenseits der Verschlagwortung schlicht technisch, und das heißt auch: automatisiert protokollieren läßt. An die Stelle von Lernen als Mnemotechnik tritt hier die Selbstorganisation; Kybernetik behandelt die Dinge, also Daten, wie sie eben sind. Bleibt demgegenüber die klassische Realität auf der Strecke?
Der Anlaß zur Programmierung eines bildbasierten Suchmodus für Filmbilder, etwa den Fundus von alle 3 Sekunden gespeicherten Bildern aus Alfred Hitchcocks Film Psycho, war für meinen Kollegen an der Kölner Kunsthochschule für Medien, Stefan Heidenreich, die buchstäbliche Einsicht in die Unmöglichkeit, einmal bei Recherche zu einem Film über die Farbe Grau in Bild-, Film- und TV-Archiven Material zu finden. Hat als kulturelles Gedächtnis ist nur Geltung, was bereits semantisch gefiltert ist?
Der generative Archiv-Begriff
Michel Foucault definiert in seiner Archäologie des Wissens, daß Gesetze der Ordnung Gedächtnis nicht an etwas ordnen, sondern überhaupt erst erzeugen. "Because the system searches on appearance only, it is possible to link images together that cannot be found by means of textual reference" <Vaughan 1992: 17>. Auch aus Bildfindung wird damit Bilderfindung (invention / Inventar). Foucault spricht, seinerseits noch buchstabenorientiert, von "(Ver)Streuung", d. h. (mit Derrida) die generalisierte Post: "Es ist das allgemeine System der Formation und der Transformation der Aussagen."
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In dem Moment, wo Bilder elementar quantifiziert eingelesen werden, "using the same criteria for measuring all images" <Vaughan 1992: 14>, zieht das Medium (Computer) eine bislang unvertraute, neue, also generierte Archiv-Ebene ein: die der elektronischen Sortiermöglichkeit.
Digitale, bildbasierte Bildsuche bedarf eines rigoros standardisierten Systems; "once the digitized image has been entered into the system, its processing is completely standardized" <Vaughan 1992: 13>. Genau diese Formalisierung, Formatierung ist es, die Kultur nicht mag. So führt das bildbasierte Bildsuchsystem Morelli kulturelle, d. h. semantische Filter unter der Hand wieder ein, als eine zusätzliche Möglichkeit, Daten sinnvoll, d. h. in spezifischen Ausrichtungen, zu gruppieren. "Warum soll Programm sinstiftend sein", wird der EU-Kommissar Bangemann auf einem Medienforum in Köln zitiert; Sinn im Sinne von Richtung (wie es im Grimmschen Deutschen Wörterbuch auch steht) heißt Vektor, pointer:
"The `formalismŽ of the Morellian system is actually based on visual syntax. One of the features of digitization is that it redescribes the image in a quasi-linguistic form. In the place of unmeasurable effects of colour, tone and shape, there are precise units with quantifiable addresses and values." <Vaughan 1992: 18>
Wenn aber (im schriftarchäologischen Sinne) Zahlen und Buchstaben eine gemeinsame Matrix als Informationsspeicher haben, ist der Anschluß an einen Bildbegriff, der als Kalkül gerechnet wird, denkbar, und damit die Befreiung des Bildarchivs von seiner logozentristischen Unterwerfung unter die schlagwortartige Adressierung, also die schriftliche Indizierung. Die Bilder snd dann keine Dokumente mehr, sondern multimediale Monumente, wie allerdings erst die Digitaltechnik sie archivierbar gemacht hat. Vielleicht müssen wir unsere Vorstellung von Kultur zunächst von den Medien fortdenken, in denen sie bislang gespeichert, also gelagert war:
"Heute nämlich, also unter Bedingungen technischer Medien, begreifen die Historiker, daß ihre Quellen durch Historisierung - etwa durch die Edition mittelalterlicher Handschriften - lediglich ins homogene Medium Gutenbergs überführt worden sind. Wenn aber solche Handschriften, also Aussagen im Sinne der Diskursanalyse, mit ihren Schriftzügen und Miniaturen, also Materialitäten im Sinn der Mediengeschichte, konstitutive Einheiten bilden, sind sie keine Dokumente, sondern multimediale Monumente, wie allerdings erst die Digitaltechnik sie archivierbar gemacht hat. Anstelle eines chronologischen Handschriftenstammbaums, um den es Historikern und Editoren des 19. Jahrhunderts ging, tritt die Kopräsenz aller Handschriften in einem digitalen Museum."
(Bild-)Ähnlichkeiten: Die chinesische Enzyklopädie
Fragen wir danach, ob der Begriff der Enzyklopädie als alphabetischer Ordnung der Dinge nützlich ist oder ein Hemmnis bei dem Versuch, die kulturellen Bildspeicher der Zukunft zu denken. Ähnlichkeitsbasierte Bildsuche löst sich vom emphatischen Begriff der Ähnlichkeit und rekurriert vielmehr auf ein "unsinniges formales Prinzip, das gerade wegen seiner Sinnlogsigkeit so brauchbar ist wie das Alphabet im Lexikon. Der Rekurs auf ein ein solchermaßen unsinniges formales Prinzip ist die verkehrte Formulierung dessen, was im 19. Jahrhundert der italienische Kunsthistoriker Giovanni Morelli als wissenschaftliche, weil objektive Methode des Bildvergleichs pries: "Its salient feature is that it matches, sorts and classifies pictures exclusively on their visual characteristics." Möglich ist dies im 20. Jahrhundert deshalb, weil das digitale Bild als eine Gruppe quantifizierbarer Elemente abgespeichert wird.
Michel Foucault hat die Chances einer rein formal organisierten Bildsortierung bezeichnenderweise in der Einleitung seiner Archäologie der Humanwissenschaften (unter dem französischen Titel Les mots et les choses, in der deutschen Übersetzung aber als Die Ordnung der Dinge) exemplifiziert. Ein Text von Borghes zitiert "eine gewisse chinesische Enzyklopädie", in welcher die Tiere sich wie folgt gruppieren:
"a) Tiere; die dem Kaiser gehören, b) einbalsamierte Tiere, c) gezähmte, d) Milchschweine, e) Sirenen, f) Fabeltiere, g)herrenlose Hunde, h) in diese Gruppierung gehörige, i) die sich wie Tolle gebärden, k) die mit einem ganz feinen Pinsel aus Kamelhaar gezeichnet sind, l) und so weiter, m) die den Wasserkrug zerbrochen haben, n) die von weitem wie Fliegen aussehen."
Diesen taxonomischen Raum, der die Dinge und Begriffe in einer Weise kontingent ansiedelt, daß sie keine gemeinsame Ebene finden, führt Foucault auf die reine Form der Verknüpfung zurück, denn "was jede Vorstellungskraft und jedes mögliche Denken überschreitet, ist einfach die alphabetische Serie (A, B, C, D), die jede dieser Kategorien mit allen anderen verbindet" <Foucault 1966/71/90: 18>. Die reine Buchstabenfolge, das Betriebssystem aller Enzyklopädien, sortiert hier Begriffe, also ihrerseits Buchstabenfolgen (wenn geschrieben); dann sind Programm und Daten im gleichen Raum angesiedelt (wie im Computermemory). Handelt es sich bei diesen Begriffen um Bilder, folgt ihre Verknüpfung einer rein äußerlichen Alphalogistik. Mit der Schreibmaschinen- und Computertastatur schiebt sich ein Zwischenraum ein.
Nichts hält diese unwahrscheinliche Gruppierung zusammen denn die fortlaufende Ordnung des Alphabets, im Unterschied zu der uns vertrauten enzyklopädischen Ordnung der Dinge, nach der die Begriffe nach einem ebenso (fast) arbiträren Prinzip sortiert werden, nämlich ihrem Anfangsbuchstaben in der Ordnung des Alphabets. Bislang fand Archivierung (von Texten) im eigenen Medium statt: Alphanumerik. Dasselbe Element, aus dem die Worte bestehen, nämlich Buchstaben, dienen hier in einer allen Bedeutungen äußerlichen Funktion der Sortierung. Dies ist es, was Stafan Heidenreichs Programm analog dazu auszeichnet: Im Medium des Bildes ordnen sich bei ihm Bedeutungen (und das, was wir überhaupt erst "Bild" nennen) durch Bildelemente, die aller ikonographischen Lesart fremd sind. Der Betrachter, der damit rechnet, ist hier, erstmals, nicht mehr ein Mensch, sondern eine Maschine. Bilderfindung im Spiel von (passiv registrierendem) Inventar und Invention (aktiv): Die Maschine treibt Medienarchäologie, indem sie Bilder in einer Weise zusammenfindet, d. h. er-zählt, die zwar immer schon virtuell vorlag, von Menschen aber nicht realisiert wurde. Der in diesem Sinne radikal medienarchäologische Blick auf Bilder ersetzt (zumindest an dieser Stelle) das klassische Medium der Kulturwissenschaft namens Erzählung, die in Bezug auf digitale Bildsortierung eher ein Hemmnis darstellt.
Zum Begriff des "visuellen Wissens"
Ich möchte nicht in Trivialitäten verfallen, an dieser Stelle jedoch auf die Tautologie des Begriffs vom "visuellen Wissen" verweisen, weiß doch die Etymologie um die Verwandtschaft des gemeingermanischen Verbs (Präteritopräsenz) wissen (mittelhochdeutsch wizzen) mit anderen indogermanischen Sprachen in der indogermanischen Wurzel *veid-, d. h. "erblicken, sehen", dann auch "wissen" im Sinne von: "gesehen haben"; vgl. das Griechische idein "sehen, erkennen", u. eidénai = Wissen" und, wichtig für die visual arts, idéa als "Erscheinung, Urbild", lat. vidére "Sehen" (s. a. Vision). Zu dieser indogermanischen Wortgruppierung gehört auf weise und: verweisen; womit der Anschluß an digitale pointer hergestellt wäre: Bildpunktmengen, deren Elemente auf Bildpunktmengen verweisen:
"The crucial feature that each pixel <sc. picture element> has is an address (that is, it can be referred to as the point of intersection of a pair of co-ordinates) and a value. This value can be a simple `positiveŽ or `negativeŽ (as in the simplest of black and white pictures)." <Vaughan 1992: 9>
Schwarzweiß, die Ästhetik des Archivs, (druck)textnah, ein letztes Mal. Das Kriterium Farbe war im System Morelli ursprünglich nicht vorgesehen, denn die Zielgruppe waren zunächst "existing archives of pictures, most of which are in black and white" <Vaughan 1992: 14>.
Wenn Wissenschaft schließlich als "geordnetes, in sich zusammenhängendes Gebiet von Erkenntnissen" definiert werden kann, bildet ein genuin visuelles Archiv deren Voraussetzung. Der Computer hat ein Bildwissen, von dem wir kaum etwas ahnen. Er bildet die Perspektiven im Bild nicht ab, sondern rechnet sie. Das virtuelle Navigieren im dreidimensional hochgerechneten Bildraum am Beispiel von Piero della Francescas Freskenzyklus Die Legende des Wahren Kreuzes heißt Bildsortierung als Analyse, als Wissensarchäologie:
"The 3D views retain the effects of peripheral vision and relative scale. The equipment <...> allows the viewer unimpeded movement of his or her line of sight through the simulated space in real time."
Diese virtuelle Architektur aber steht im Schatten der Hardware-Architektur selbst und ist eine schlichte virtuelle Archäologie des bei Piero bereits angelegten mathematischen Denkens:
"Piero structured his figures according to the rules of geometry, first drawing a cone or a cylinder and then transforming it into a head or a leg. The stereometric under-drawing of these shapes is often visiblebeneath the final paint level." <Lavin 1996: 37>
Image retrieval und visuelles Wissen
Bisher konnten Bilder nur über eine verschriftete Suche und damit eine begrenzte Anzahl von Entscheidungen in einem auf den Kanal der Buchstaben beschränkten Feld ausgewählt werden. Die Auswahl hatte auf die Art des abbildbaren Wissens einen enormen Einfluß. Die Adressierung eines Archivs bestimmt dessen Wissen; verfügbar ist, was tatsächlich abgefragt oder ausgewählt werden kann. Bildarchive, die über Sprache abgefragt werden, bleiben sprachliche Archive, so viele Bilder sie auch enthalten. Das läßt sich an den Archiven der Kunstgeschichte (Foto Marburg, Iconclass) genausogut nachvollziehen wie an den meisten der neueren, auf sprachlich fixierbaren Inhalten aufgebauten Datenbanken. Mit der Programmierung von Datenbanken, in denen Bilder wieder auf Bilder verweisen, wird eine neue Art von Auswahl möglich. Erst unter diesen Bedingungen könnte tatsächlich visuelles Wissen abfragbar werden. Wenn dieses Wissen über buchstäbliches Wissen hinausgeht, dann hätten bislang schriftbezogene Abfrageformulare diesen Überhang aus den Archiven hinausgefiltert. Erst unter der Bedingung visueller Adressierbarkeit kann das Wissen eines Bildarchivs wirklich bewußt werden. Die Gedächtnisphysiologie aber lehrt, daß das menschliche Gedächtnis, im Unterschied zum Computer, nicht mit der Trennung von Adresse und Ort operiert.
Braucht Bildkultur überhaupt ein Gedächtnis?
"Werden Ereignisse derart interpretiert, daß deren Beobachter meint, sie kommen ihm wie ein Gedächtnis oder eine Erinnerung vor, dann sind zumeist spezifische Merkmale und Funktionen erfüllt, die diese Annahme stützen. Oft wird ein Gedächtnis angenommen, sobald in gegenwärtigen Merkmalen ein indexikalischer Hinweis (wieder-)erkannt wird, der die zeitliche Differenz zur Vergangenheit markiert und damit das Zeitmaß der Erinnerung verdeutlicht <...>. Hält sich der Hinweis auf Vergangenes im Unbeobachtete, z. B. in Gewohnheiten, verborgen, würde man vermutlich folgender These zustimmen: `Das System selbst reproduziert sich nur in der Gegenwart und braucht dazu kein GedächtnisŽ <...>. Wäre diese These auf konservierende Speicher bezogen, wäre sie zutreffend, denn der Verzicht auf Bild-Archive ist ohne Einfluß darauf, ob der kulturelle Signifikationscode unserer Fernsehbilder fordauernd verwendet werden kann." <Schelske 1998: 7, unter Verweis auf Arbeiten von Porath und Luhmann>
Denn Iteration löscht Zeitlichkeit. Die Archive der Fernsehsender arbeiten nicht als unaufhörliche Erinnerungsmaschine, sondern als rekursive Latenzen:
"Ist ein solches (Bild-)Archiv, das dem Gedächtnis abhanden gekommen ist, zu entziffern, muß dessen diachronische Kultur als Gedächtnis zuvor oder währenddessen erinnert werden. Diese mögliche Decodierung setzt zum einen voraus, daß historische Artefakte mit einigen Merkmalen ihrer jeweiligen Kultur als Gedächtnis ausgestattet wurden" <Schelske 1998: 8>,
so wie das memory des Computers neben den Daten auch die Programme speichert, synchron. Chris Marker sagt es in seinem Film Sans soleil:
"I remember a January in Tokyo, or rather I remember the images I filmed in January in Tokyo. They have replaced my memories, they are memories. I wonder how people remember who donŽt film, who donŽt photograph, who donŽt use tape-recorders."
Probleme der Film- und Videoarchivierung
Digitale Massenspeicher operieren ohne Datenverlust, stellen aber das Problem der Datenkomprimierungsverfahren. AVD-geschnittenes Material, analog ausgespielt, läßt sich nicht wieder identisch digital einspeichern. Der Weg weist von formatabhängiger Speicherung weg auf den digitalen endarchivischen Bereich. Non-lineare Schnittsysteme ersetzen zunehmend die Arbeit der Kopierwerke. Zukunftssicherung geschieht über Digital-Beta, d. h. mit der Option des Anschlusses an digitale Massenspeicher. Im neuen Medium aber gilt es, das Filmgedächtnis in ein verändertes Inventarisierungskonzept zu überführen.
Demgegenüber ist ein rein kulturwissenschaftlich gespeicherter Film vielleicht für die Produktion, doch nicht für das Archiv tot. Gerade Produktionsarchive dürften an bildbasierten Suchprogrammen interessiert sein, die aufspüren, was für den Menschen als Information nicht findbar ist (Martin Piper, ZDF Mainz). Gegenüber dieser passiven Funktionalität aber generiert similarity-based image retrieval ein Archiv anderer Ordnung.
Im Direktarchivbereich der Sendeanstalten wird auf den Punkt hin recherchiert; ein archivischer Zwischenspeicher im Sinne administrativer Altregistraturen existiert auf Produktionsseite nicht. Daraus resultiert die Notwendigkeit, die Verwendungen von Archivmaterial selbst zu dokumentieren (Nutzungsnachweis; Schnittlisten). Schwierigkeiten bei der Urheberrechtskontrolle sind die Konsequenz; vielmehr bietet sich eine Pauschale denn das individuelle Honorierungsverfahrung bei der Aktivierung von Bildgedächntis an, in Differenz zum textbasierten Zitatrecht (Rechtenacherwerb). Werden Zitate, wenn sie ihrerseits in anderem Zusammenhang als Quelle zitiert sind, selbst zum Original? Ziel bleibt, als Bild- wie als Textgedächtnis, die Quellentransparenz. Quellenadäquate Dokumentation heißt, Aussagen in Kontexten zu zitieren; "Referenzsysteme" zwischen aus dem Zusammenhang gerissenen, mithin monumentalisierten Archivalien werden im Akt der (Wieder-)Nutzung aufgebaut.
Die sach- und bildthematische Erschließung des Archivmaterials aber läuft nach wie vor über Sprache als Transportmedium, nicht als Orientierung am Realen, etwa dem Timecode als Protokoll. Der Umgang mit Bildern wird durch Sprache stereotypisiert (Hans-Ulrich Reck).
Gedächtnisökonomie herrscht dort, wo das Archiv als Recycling-Anstalt fungiert, d. h. Archivmaterial als Ersatz für kostenintensive Neuaufnahmen. Das neue Anforderungsprofil an den Medienarchivar heißt, den Anfragen nach gestaltungsgerechtem Schnittmaterial nachkommen zu können. Wo aber 1 Stunde Sendung 2,5facher archivalischer Bearbeitungszeit bedarf (Dokumentation, Erschließung für hausinterne Recherche), rechnen sich kulturhistorische Kritierien des antizipierten Gedächtnisses einer Zukunft eher nur ausnahmsweise. Mediale Archivpraxis bedeutet keine Fach-, sondern Querschnittdokumentation.
Angesichts des produktionsökonomisch latenten Phänomens der Ersatz- und Stellvertreterbilder gilt für Dokumentare und Medienarchivare, daß nicht sie primär mehr für die Authentizität der Archivalien zuständig sind, sondern vielmehr die Redaktionen selbst. Manipulierte Bilder (erster Ordnung) werden dann in der Wahrnehmung folgender Generationen für authentisch gehalten - ein Archiv zweiter Ordnung generiert sich (Dietrich Leder). Claude Landzmanns anti-archivischer Film Shoah verzichtete demgegenüber radikal auf Filmmaterial über Konzentrationslager, das notwendig der archivierten Perspektive des Nationalsozialismus entsprungen wäre.
Das Risiko liegt auf Seiten der Hard- und Software: Die Hersteller vermeiden aus verkaufsstrategischen Gründen die Abwärtskompatibilität ihrer Produkte. Daher müssen audiovisuelle Abspielgeräte (diverser Standards) mitarchiviert werden: auch als Apparate, wie sie künstlerisch manipuliert und als Gestaltungsmedien eingesetzt wurden (so die TV- und Videoprodukte Nam June Paiks). Solange die Gerätegeneration kommerziell noch erreichbar ist, brauchen nur die unauswechselbaren Teile archiviert zu werden.
Das Bundesfilmarchiv begann seine Tätigkeit, nach einem Vorspiel in Form des Reichsfilmsarchivs, nicht aufgrund einer kulturellen Logik, sondern auf der Grundlage des Bundesarchivgesetzes (Gesetz/Setzung/Institution). Mit einer Entscheidung des Bundesarchivs Koblenz in den 50er Jahren wurde der deutsche Film endgültig zur "historischen Quelle" erhoben und archiviert, darunter auch Spielfilme (die heute zu Dokumentationszwecken dienen); das BA/Filmarchiv ist eben nicht nur (wie das BA Koblenz) nur für die amtliche Produktion des Bundes zuständig, sondern auch für Kulturerbe (was der Bundesrechnungshof als Aufgabe des BA nachdrücklich infragestellt). Auch Film-Nachfolgemedien wie Bildplatte und Video werden archiviert.
Die Priorität heißt Sicherung vor Nutzung; dies ist der Akzent eines Archivs in Differenz zur didaktischen Idee einer Mediathek, dem öffentlichen Nutzer die Materialien nahezubringen. Neben der tatsächlichen, immer notwendig selektiven Sammlung von Filmgut zielt das Bundesfilmarchiv auf eine nationale Filmographie als Erfassung und Dokumentation (die "Bewahrung des deutschen Filmerbes").
Geschichte oder Gedächtnis? Jacques Meny, schweizer Filmarchivar, zweifelt in dem von ihm verfaßten Dokumentarfilm Mémoire du cinéma (deutscher Titel weniger prosaisch: Hüter verborgener Schätze) am Sinn der Cinematheken, für die etwa Paris prominent ist: "Und am Ende weiß ich nicht, ob dies nicht einfach riesige Lager sind."
Ein Ziel des Bundesfilmarchivs bei der nächsten Archivgesetznovellierung ist die Pflichtabgabe für Filme in der BRD; steht aber thematisch sperriges Filmmaterial nicht immer schon im Konflikt mit dem Diskurs des Archivs (Siegfried Zielinski)? Es gibt eine Differenz von künstlerischem Produkt und staatlichem Interesse an Dokumentation, von Staats- und subjektiven Archiven mit individuelle Sammlermythologien (wie sie auch Künstlerarchive darstellen, unter dem Titel Deep storage jüngst in München und Berlin zur Ausstellung gebracht).
Visuelle Dokumente, besonders Filme enthalten unabsichtlich immer schon einen Überschuß an Information für künftige Kulturhistoriker (Hans-Ulrich Reck). Roland Barthes unterschied dementsprechend an der Fotografie zwischen studium und punctum (das Moment der subjektiven Faszination gegenüber dem historischen Aussagewert).
Die Prüfung des Filmgedächtnisses geschieht, im Unterschied zur Textarchivierung, am Schneidetisch. Es gilt die Maxime, so dicht wie möglich an dem bleiben, was tatsächlich zu sehen ist und nicht zuviel zu konnotieren. Damit wird ein quasi archäologisch-phänomenologischer Blick der antizipierenden historischen Interpretation und Hermeneutik entgegengestellt (auch wenn es den konnotationsfreien Blick nicht gibt). Die Erfassung selbst bleibt dabei textorientiert: So bleibt das Problem bei der Beschreibung; soll das Vokabular der Vorbilder übernommen oder gerade gebrochen, konterkariert werden?
Die Datenmaske der Bestandsaufnahme für das elektronische Findbruch im Berliner Bundesfilmarchiv läßt das Bild überhaupt nicht als Bild vorkommen. Archivisches Erfassen heißt das Anlegen einer Bestandsdatei; im Interesse an juristischen Daten etwa liegt die funktionale Differenz von Archiv- und Sortierarbeit. Filmographie meint das, was die Bilder nicht wissen: die sie umfassende Infrastruktur, etwa Zensurdaten, wobei die Information unabhängig davon ist, ob der physische Film noch vorliegt. Bewerten und Erschließen meint hier vor allem Schlagwortvergabe (Deskriptoren), d. h. eine bewußt begrenzte Erschließungstiefe im Unterschied zum Regelwerk Fernsehen (seit etwa 25 Jahren), worin jede Einstellung erfaßt wird: Dort zählt die Produktionslogik der Wiederverwendbarkeit (Gedächtnis also buchstäblich als Kapital, das ständig "Zinsen spendet", analog zu Goethes Beschreibung einer zeitgenössischen Bibliothek). Bei jeweils erweiterten oder modifizierten Mehrfachauflagen desselben Films muß nicht die gesamte Serie gespeichert werden, sondern nur das Spiel der Differenzen - womit similarity-based image retrieval rechenbar geworden ist.
Der Archiveffekt der Produktionsumstellung von Film auf Video in den Sendeanstalten sind kostengünstigere Nutz- und Kopiermöglichkeiten. Motivation der Medienarchivierung ist damit überhaupt die Wiederverwendbarkeit des Materials; produktionsästhetischer Effekt dieser Logik ist die schnellere Verfügbarkeit von Archivmaterial; das verführt direkt zur Praxis der Kompilation, ein Effekt des modularen Charakter des Zugriffs auf Gedächtnis.
Jenseits des Archivs? Audiovisuelles Sampling
Für im Internet vernetzte Kunstwerke (siehe etwa die Homepage des MIT in Boston) muß sowohl eine Kunst- als auch eine Archivsprache erst entwickelt werden; was feststeht, sind die technischen Dispositive. Der virtuelle Annex zum Museum muß den Werkbegriff vom Kunstwerk trennen; für prozeßhafte Arbeiten gibt es keine Archivierungsform mehr. Wer definiert das Kunstkriterium im Internet? Die Wertigkeit der Bilder gilt nicht mehr immanent, sondern wird von Vermittlungsagenturen (etwa der Videokunstagentur 235 Media in Köln) an der komplexen Schnittstelle Netz/Mensch definiert (auch die virtuellen Räume der Linzer Ars Electronica versuchen es). Das Internet ist kein Speicher-, sondern Kommunikationsmedium; ohne Produktionsästhetik auf das Museum hin ist Kunst darin nicht mehr definierbar. Aus Kultur als Effekt von Speichern wird ein Effekt von Signalübertragung.
Vielleicht heißt visuelles sampling die Konsequenz daraus, denn es ist "von Anfang an nicht als Ablegung von Elementen zu charakterisieren, sondern als strategische Manipulaton des dem Element anhängendes Überschußmaterials." Sampling führt Bilder und Töne zusammen:
"Gesampeltes Material besteht in diskreten und eindeutigen, minimalen und signifikanten Einheiten. Es ist beliebig reproduzierbar und modulierbar. Die Samples werden in einem Archiv als Einzelteile aufbewahrt und sind von dort abrufbar. <...> Bilder sind in räumliche Topographien geordnet, innerhalb der die Blickrichtung frei und trotz der unumkehrbar ablaufenden Zeit reversibel sind. <...> Samples sind wegen ihrer freien Modulierbarkeit in prinzipiell nicht endlichen Kontexten von Zitaten zu unterscheiden, die in ihrem neuen Präsenz-Zusammenhang immer auf einen gegebenen früheren Kontext verweisen. Sampling ist wie alle entwickelten technischen Verfahren keines der Collage, des Herausreissens und metonymischen Verfremdens, sondern eines der Konstruktion und Montage."
Konkrete elektronische Bild(such)speicher
On-line-Datenbanken sind das Dementi der musealen Hermeneutik. Das Microsoft-Projekt eines digitalen Bildarchivs (demnächst auch für bewegte Bilder) ersetzt das kulturelle Primat der Speicherung durch das Rohstofflager zur Versorgung zukünftiger Netze konzipiert; bewegte Bilder, also Animation und digitale Videos, sollen bald hinzukommen. Jenseits kulturellen Sinns lassen sich sehr reale patterns identifizieren, Dispositive des Symbolischen, die ein solches Unternehmen strukturieren - die Gesetze des Bildmarktes und die des Urheberrechts bis hin zur nationalen Denkmalschutzgesetzgebung. Bildgraphische Medien aber konvergieren mit Staats- und Museumsinteresse in einem Ziel: materialle Objekte vor dem Verfall zu retten.
Die doppelte Buchführung digitaler Bildspeicherung (als Text- und Bildinformation) betrifft einerseits die noch aktuellen Grenzen der Speicherkapazität, andererseits das Dispositiv von Regeln der Erfassungskriterien, Signaturen und Paratexte (Gérard Genette). Das Marburger Bildarchivsystem Midas arbeitet hypertextuell unter maximaler Vermessung und Verzeichnung, mithin: Semiotisierung der Objekte. Problematisch bleibt der Verknüpfungsmodus der Bildersortierung.
Das <...> Netzwerk existiert längst schon informell, in Form des Internet. Bildorientierung im Internet, d. h. die Programmierung entsprechender Suchmaschinen und Algorithmen, ist die Herausforderung an visuelles Wissen heute. Zielt das visuelle Gedächtnis dabei auf multimediales Erzählen oder auf digitale Datenbanken, auf icons und gelinkte Narreme oder diskrete Informationen, wie sie etwa in der von Friedrich Knilli, Gerhard Lechenauer und Thomas Schwenger (TU Berlin) konzipierten CD-ROM Jud Süß - Eine multimediale Enzyklopädie im Widerstreit liegen?
Deutsche Mediathek Berlin und Speicher NRW
Steht am Ende doch wieder die Präsenzvideothek, nicht das Netzwerk, aus Gründen des copyright? Technische Kopierbarkeit und copyright liegen im Widerstreit; was die Bildarchive strukturiert, ist - quer zu den Grenzen der Verschlagwortung, also des image retrieval - ein juristisches Dispositiv, die Festlegung der gespeicherten Bilder durch den Urheberschutz (eine klassische Archivaufgabe).
Die Initiative zu einer deutschen Mediathek stammt aus Kreisen der Dokumentarfilmer (Eberhard Fechner), einen Lagerort für überschüssiges Dokumentarfilmmaterial zu finden (Anlaß war eine Produktion zum ehemaligen Konzentrationslager Majdanek). Was in den Sendeanstalten archiviert wird, ist der gestaltete Sendebereich, nicht auch die Kameraschnittreste und Kameracassetten. Der aktuelle Architektenentwurf für eine Mediathek in Berlin sieht einen repräsentativen zentralen Projektionsraum vor, doch die konkrete Medienlagerung geschieht dann auf billigem Baugrund anderswo und die Zulieferung per Kabel dezentral.
Regional hat eine Kölner Initiative diesen Gedanken modifiziert. Nach 50 Jahren hat das Land NRW selbst ein historisches Gedächtnis; für die neuen Formen künstlerischer Produktion, zumal die elektronischen Medien, gibt es jedoch keinen Ort der Arbeitsspeicherung, da sich die klassischen Staats- und Kommunalarchive auf behördengenerierte Papier- und Textwaren konzentrieren. Im Unterschied zur Berliner Mediathek, die institutionell konzipiert ist, liegt der Akzent von Speicher NRW, einer Initative des Rektors der Kölner Kunsthochschule für Medien Siegfried Zielinski, auf der Vernetzung bereits existierender Medienarchive (etwa Videoarchiv von Axel Wirths, das Kurzfilmarchiv Oberhausen, das Archivs des Medienkunstpreises Marl, das Hörspiel-Archiv des WDR Köln, die Bildspeicher des Folkwang-Instituts Essen; das Projekt zielt eher auf elektronische denn auf filmische Medien.). An die Stelle eines nationalen Archiv-Impulses (herkömmlich) tritt die Netzstruktur von Speicher NRW, die somit der Struktur ihres Objekts entspricht, um dessen Charakeristikum, die Heterogenität der zu archivierenden Medien, zu erhalten und nicht in einem zentralen Mastermedium zu standardisieren; die unterschiedlichen Ebenen des zu Speichernden sind zu differenzieren. Das Material selbst hat unterschiedliche auratische Qualitäten wie etwa das antiquarische Buch im Unterschied zur CD-ROM (Andreas Altenhoff, KHM Köln). Als virtuelles Archiv wäre Speicher NRW nicht unmittelbar für den Nutzer zugänglich (der Grund sind copyright- und Materialsicherungsfragen). Was zugänglich gemacht werden kann, ist die Dokumentation und Information mit Hilfe der symbolverarbeitenden Maschine Computer.
Notwendig wäre eine Vorlaufphase: Forschungen über bildbasierte Bildsortierung und -archivierung. Das Finanzministerium NRW aber geht auf Distanz, wenn sich die Einrichtung nicht nach drei Jahren finanziell amortisiert (Kritik der gedächtnis- und kulturpolitischen Ökonomie); Foto- und Filmfirmen sponsern kaum. Allerdings rechnet sich ein Medienkunstarchiv erst mit dem Gebrauch von Nutzungsrechten, und am Ende steht für alle Optionen einer visuellen Enzyklopädie erneut die Frage: In welchem Verhältnis stehen Kultur, Gedächtnis und Kapital? Vielleicht ist dies ja schlicht und einfach die Aufgabe eines künftigen Netzwerks Kultur - Fernsehen - Politische Bildung: Bildwissen kostengünstig verfügbar zu halten. Anzuknüpfen ist dabei an bereits existierende medienarchivarische Verbünde, etwa das Deutsche Rundfunkarchiv. Zugriff erfolgt nur auf öffentlich-rechtliche Arbeiten; Papier fungiert dabei als Zwischenträger. Gegen die dezentrale Vernetzung spricht im Fall von Film die Notwendigkeit kostengünstiger, sachgerechter Lagerung in zentralen Speichern; die eigentliche materiale Lagerung soll also lokal erfolgen, um Lokalität materialiter zu stärken. Die eigentliche Aufgabe des Archivs (also des logistischen Kopfs im Unterschied zum konkreten Speicherplatz) ist damit Vernetzung (auf der Kommunikationsebene) und Logistik - Adressierung statt Klassifizierung.
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